Strenge Eltern aufgepasst!

Ist autoritäre Erziehung für Kinder wirklich schädlich?

Kinder, deren Eltern zu streng sind, können sich nicht frei entfalten und bleiben Studien zufolge unter ihren Möglichkeiten. Aber welche Schäden richten Strafen an? Und was sind die Alternativen, damit bestimmte Regeln auch ohne Drohungen eingehalten werden?

Eine autoritäre Erziehung hindert Kinder daran, sich frei zu entfalten. © Foto: Getty Images/David Laurens
Eine autoritäre Erziehung hindert Kinder daran, sich frei zu entfalten.

Kein Nachtisch, wenn der Teller nicht leer gegessen wird. Fernsehverbot, wenn zu viel gestritten wurde. Und Hausarrest, wenn's eine schlechte Note gab: Das sind Strafen, an die viele von uns sich noch aus ihrer eigenen Kindheit erinnern. Nicht wenige übernehmen Teile dieser Erziehungsmethoden heute selbst bei ihren eigenen Kindern. Aber ist das noch zeitgemäß?

Streng erzogene Kinder haben später Nachteile

Nein, sagt Bestsellerautorin Nicola Schmidt ("Erziehen ohne Schimpfen", siehe Buch-Tipps am Ende des Artikels). Sie bezeichnet Methoden wie diese als eine Erziehung, die Grenzen setzt um der Grenzen willen: "Autoritäre Strenge ist ungesund, die Studienlage ist eindeutig. Sie bringt keine freien, starken, glücklichen Kinder hervor." Das Erstaunliche sei, dass man so nicht mal erreiche, dass der Nachwuchs besonders brav werde. Und noch schlimmer: Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge sind Kinder, die autoritär erzogen wurden, als Erwachsene aggressiver, haben weniger soziale Kompetenzen, gepaart mit einem eher geringeren Selbstwertgefühl. "Streng erzogene Kinder haben später deutlich mehr Probleme im Leben als die, die wärmere und nachsichtigere Erziehung genossen haben." Das Argument "Meine Kinder hören sonst nicht auf mich" sei kein gutes, denn es gebe reichlich Alternativen zur Erziehung auf die harte Tour.

Lernprozesse anstoßen statt Gegendruck erzeugen

Laut Nicola Schmidt setzen Drohungen Kinder unter Stress – und Strafen produzieren keine Lernprozesse, sondern Wut und Gegendruck. Der Zwang, den Teller leer zu essen, sei sogar kontraproduktiv, da er das angeborene Sättigungsgefühl zerstöre. Der bessere Weg: Dinge erklären, üben, vorleben. Was es mit Kindern macht, wenn sie Strafen aufgebrummt bekommen? "Schauen wir ihnen in die Augen, dann sehen wir es", so die Wissenschaftsjournalistin.

Absolutes No-Go: der Klaps auf den Po

Erst im vergangenen Jahr erschien eine Umfrage des Uniklinikums Ulm, die der Deutsche Kinderschutzbund in Auftrag gegeben hatte – und dessen Ergebnisse viele schockierten. Denn knapp die Hälfte fand den viel zitierten "Klaps auf den Po" nicht problematisch, jeder Sechste hielt sogar eine Ohrfeige für in Ordnung. 

Für Nicola Schmidt ist jede Form von Gewalt ein absolutes No-Go. Dabei mache es keinen Unterschied, wie doll der "Klaps" sei: "Alles ist bedrohlich, erniedrigend, schmerzhaft." Sie zitiert in diesem Zusammenhang gerne einen Satz ihrer eigenen Mutter: "Die Hand, die mich streichelt, darf niemals die Hand sein, die mich schlägt." Auch Schimpfen kann zu verbaler Gewalt werden, nämlich dann, wenn es bedroht, demütigt, ins Lächerliche zieht oder herabwürdigt, so die Kinder verletzt. "Wie dumm kann man sein" ist so ein Satz oder "Was regst du dich so auf? Ist doch nichts." Doch was entgegnet die Expertin denen, die mit dem Satz "Das hat mir als Kind auch nicht geschadet" argumentieren? Nicola Schmidt: "Diese Menschen sind oft tief verletzt. Ich nehme sie in Gedanken in den Arm und bitte sie, von ihrer Verletzung zu erzählen. Davon, wie sie sich gefühlt haben. Menschen wollen gar nicht immer gewinnen, oft wollen sie nur gesehen werden."

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Statt Strafen

  • Empathisch Grenzen setzen und altersgerecht erklären
  • Abmachungen treffen, sich auch selbst daran halten
  • Regeln besprechen, zusammensetzen und gemeinsam überlegen, wann und warum sie nicht eingehalten wurden
  • Kindern das Gefühl geben, dass ihre Meinung ernst genommen wird
  • Überlegen, wieso das Kind reagiert wie es reagiert – und auf die Gründe eingehen
  • Kein starres Durchziehen von Regeln – sondern Regeln an die jeweilige Situation anpassen

Nachgefragt: Seid ihr strenge Eltern?

Klare Regeln und harte Konsequenzen für die Kinder – oder einfach alles locker laufen lassen? Bei kaum einem Thema gehen die Meinungen von Eltern so sehr auseinander wie beim Erziehungsstil. Wir wollten von Müttern und Vätern wissen, ob sie sich selbst als streng einschätzen.

"Bei uns gibt es klare Regeln, von denen wir selten abweichen"

© Foto: privat

"Ich würde mich als strikt und konsequent bezeichnen. Wir haben Regeln, an die wir uns halten. Ich versuche auch, dass einmal ausgesprochene Aussagen nicht rückgängig gemacht werden, und erinnere daran, wenn sie in Vergessenheit geraten. Was für mich nicht infrage kommt, ist ein ständiges Durchdiskutieren der Regeln. Auf der anderen Seite möchte ich natürlich auf die Gefühle meiner Tochter eingehen. Sie darf wütend und traurig sein. Ich lasse ihr den Raum und auch Nähe, die sie dafür braucht. Es gibt eigentlich nur zwei Ausnahmen, in denen ich von den Regeln abweiche. Erstens: Wenn ich im Gespräch merke, dass ein Thema unglaublich wichtig für sie ist und dass ich die Bedeutung vorher unterschätzt habe. Zweitens: Ausnahmesituationen wie Krankheiten – das kommuniziere ich dann aber auch als Ausnahme. Sehr selten drohe ich mit Fernsehverbot, aber ich kann mich nicht erinnern, dass ich das mal umsetzen musste. Ich versuche dann eher, mit halbwegs logischen Konsequenzen zu argumentieren, also zu sagen, dass keine Zeit mehr zum Fernsehen bleibt, wenn meine Tochter weiter so trödelt. Ein absolutes No-Go ist für mich Gewalt in der Erziehung! Auch Hausarrest oder auch Spielzeugwegnehmen würde ich nie übers Herz bringen, auch weil mir der Kontakt zu Freunden sehr wichtig ist. Auf Fernsehen hingegen kann man gut mal verzichten …"

Jana (38, Business Analyst) aus München, eine Tochter (3)

"Wenn ich Konsequenzen androhe, halte ich sie auch ein"

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"Ich wurde als Kind liebevoll streng erzogen und habe gelernt, dass Handlungen auch Konsequenzen haben und dass nicht immer alles geht. Einiges, was meine Eltern damals gemacht haben, versuche ich heute auch an meine Kinder weiterzugeben, natürlich immer mit eigenem Gefühl für gewisse Dinge. Mein Großer ist mitten in der Autonomiephase, und so langsam setzt es auch bei den Kleinen ein. Ich versuche, viel Verständnis zu haben, allerdings gibt es ein paar Regeln, die nun mal gelten. Vor den Mahlzeiten wird zum Beispiel nicht genascht, und wir stehen nicht vom Tisch auf, wenn noch einer isst. Auch fangen wir nicht an zu essen, wenn noch einer fehlt. Wenn ich bestimmte Konsequenzen androhe, versuche ich, sie auch einzuhalten: Wenn beispielsweise wiederholt die kleinen Schwestern geschubst werden, sage ich ganz klar, dass wir zu Hause bleiben, wenn das nicht aufhört. Große Strafen verhängen wir allerdings nicht, da sie oft nicht im Bezug zum Verhalten stünden und somit keinen erzieherischen Effekt hätten. Außerdem sind unsere Kinder ja auch noch sehr klein und handeln nicht aus bösem Willen."

Ina (34, Bankbetriebswirtin) aus Verden (Niedersachsen), ein Sohn (3) und Drillingsmädchen (2)

"Kinder, die nichts dürfen, werden zu Erwachsenen, die nichts können"

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"Wir sind alles andere als streng. Unsere Kinder dürfen und sollen sich ausprobieren. Und meistens merken sie dabei selbst ganz von allein, dass Mama oder Papa eben doch recht haben. Wir finden den Spruch ganz passend: ,Kinder, die nichts dürfen, werden zu Erwachsenen, die nichts können.‘ Wir sind beide auf dem Dorf aufgewachsen, ohne große Regeln. Wir wussten, dass wir zum Essen zu Hause sein mussten, das war eigentlich alles. Strafen oder direkte Verbote gab es damals nicht –und gibt es auch heute bei uns nicht. Natürlich müssen sich unsere Kinder an gewisse Regeln halten, da kommt man nicht drum herum. Aber wenn man vernünftig darüber redet und die Gründe erklärt, hat das meistens einen größeren Erfolg als eine Bestrafung. Wir merken häufiger bei anderen Kindern, dass strenge Erziehung meistens nicht den gewünschten Erfolg erzielt: Zum Beispiel, wenn Kinder zu Hause nichts naschen dürfen und dann, wenn sie bei anderen zu Besuch sind, völlig den Süßigkeiten verfallen. Wir selbst stellen uns zurzeit in vielen Dingen hinten an, denn das Wichtigste ist es, so viel Zeit wie möglich mit unseren Kindern zu verbringen – ohne Schimpfen und Strafen. Die Zeit, in der man alleine zu Hause ist und den Trubel vermisst, kommt viel zu schnell wieder!"

Kathrin (32, Fleischereifachverkäuferin in Elternzeit) und Christian (33, Soldat) aus Schwansen (SchleswigHolstein), drei Töchter (1, 3 und 5)

"Bei uns gibt es keine Strafen und Belohnungssysteme"

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"Natürlich gibt es Momente, in denen man einfach keinen Nerv mehr hat – aber im Großen und Ganzen bin ich kein strenger Typ. Ich bin da konsequent, wo es wirklich wichtig ist. Es gibt natürlich rote Linien, die sind den Kindern auch klar. Aber beim Androhen von Konsequenzen muss man sich vorher immer bewusst werden, was diese dann nach sich ziehen und ob man das wirklich so möchte. Man baut sich mit so einer Konsequenz auch ein enges Korsett auf. Wir haben goldene Regeln und Werte, bei denen wir uns unter anderem auch an den zehn Geboten orientieren. Zum Beispiel, dass man andere immer so behandelt, wie man selbst behandelt werden möchte, und auf andere Rücksicht nimmt. Genauso wichtig ist es mir, dass meine Kinder lernen, sich zu entschuldigen – dazu gehört, dass ich mich auch selbst entschuldige, wenn ich einen Fehler gemacht habe. Ich bin der Meinung, dass Kinder durch so ein Vorleben mehr lernen als durch Strafen oder Belohnungssysteme. Deshalb machen wir so etwas alles nicht. Auch Gewalt geht natürlich überhaupt nicht."

Konstantin (41, Referent für Erwachsenenbildung) aus Berlin, zwei Töchter (4 und 13) und ein Sohn (10)

Autorin: Nathalie Klüver

Unsere Buch-Tipps

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